Analyse von Hugo Müller-Vogg Bei den Öffentlich-Rechtlichen häufen sich peinliche Tricks und Pannen

FOCUS-online-Autor Hugo Müller-Vogg

Samstag, 05.08.2023, 09:21

Wieder ein Skandal bei den Öffentlich-Rechtlichen: Eine WDR-Mitarbeiterin wird in einem Tagesschau-Beitrag als Kundin dargestellt. Ein Einzelfall ist das nicht: Peinliche Tricks und Pannen häufen sich bei ARD und ZDF.

WDR Hannah Mertens arbeitet selbst beim WDR, ist Produktionsassistentin und Moderatorin.

Eine Mitarbeiterin des Westdeutschen Rundfunks (WDR) taucht in einem Tagesschau-Beitrag als vermeintliche Kundin auf. Und sie sagt genau das, was im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) so gerne gesendet wird: Dass wir alle für den Klimawandel mehr Geld ausgeben sollen und müssen.

Nun war es sicherlich ein peinlicher Einzelfall, eine WDR-Mitarbeiterin als Kundin zu präsentieren. Allerdings häufen sich in der ARD wie beim ZDF die Fälle, in denen sich "zufällig" interviewte Passanten als Parteimitglieder entpuppen.

Kürzlich befragte der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) Demonstranten, die die geplante Ausweiskontrolle in Berliner Bädern als schikanös ablehnen. Was der Zuschauer nicht erfuhr: Einer arbeitet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD), eine schreibt für die Böll-Stiftung (Grüne). "Volkes Stimme" war das zweifellos nicht.

Politiker als "Passanten"

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, falls irgendwo ein Team des ÖRR auftaucht, zieht das automatisch politische Aktivisten von links der Mitte an. Das führt dann zu einer seltsamen Berichterstattung.

So forderte vor zwei Jahren ein scheinbar zufällig ausgewählter Berliner Radfahrer im RBB weitere Pop-up-Radwege. Wie sich später herausstellte, war er ein grünes Mitglied des Abgeordnetenhauses.

Ähnliches ereignete es sich vor den Berliner Wahlen im Februar dieses Jahres gleich zwei Mal. Im ZDF äußerte sich eine Frau ganz begeistert über die grüne Verkehrspolitik in der Hauptstadt. Es war eine Grünen-Kommunalpolitikerin aus Rostock.

Kurz darauf zeigte das ZDF eine Berlinerin, die von der umstrittenen Sperrung der Friedrichstraße ganz begeistert war. Kein Wunder: Es handelte sich um eine Landtagskandidatin der Grünen.

Straßenumfragen laden zur Manipulation ein

Ohnehin sind Straßenumfragen alles andere als repräsentativ. Der Journalist und Medienexperte Hans-Peter Siebenhaar nennt sie eine "mediale Simulation von Meinungspluralität".

Als journalistisches Instrument in der Fernsehberichterstattung taugten sie nicht wirklich. Siebenhaar: "Denn sie können durch die intransparente Auswahl der Gesprächspartner jederzeit manipuliert werden."

Dass Meinungspluralität eher vorgetäuscht als widergespiegelt wird, ist offenkundig. Solche Fälle kommen häufig vor, scheinbar häufiger als früher. Wobei gar nicht sicher ist, ob tatsächlich mehr politische Aktivisten als einfache Bürger auftreten, oder ob nur mehr solcher "Fake-Auftritte" bekannt werden.

Schließlich ist der Gebührenzahler nicht mehr so wehrlos wie früher. Wem etwas auffällt, der kann das in den sogenannten sozialen Netzwerken posten.

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Ein Blog sorgt für mehr Transparenz

So meldet der #OERR-Blog ständig Vorfälle dieser Art. Der Blog stellt sich seinen gut 40.000 Followern auf Twitter so vor: "Kritischer Beobachter des deutschen Öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Für eine Verkleinerung und Kostenreduzierung". Betrieben wird er von einem Lokalpolitiker der CSU.

Dass da Ungereimtheiten der ÖRR-Anstalten zu Lasten der Union eifrig aufgegriffen werden, ist keine Überraschung. Umgekehrt gibt es keinen Blog, der aufspießen würde, wenn die CDU, CSU oder FDP von einem Sender besonders gut behandelt werden.

Das wäre kein abendfüllendes Unterfangen. Bei Interviews mit dem "Mann auf der Straße" kommen bisweilen Politiker zu Wort, ohne als solche erkennbar zu sein.

Experten haben scheinbar kein Parteibuch

Ein ähnliches Verfahren praktizieren die öffentlich-rechtlichen Anstalten bei ihren Interviewpartnern. Diese werden bevorzugt als Experten präsentiert, ohne die Zuschauer über deren parteipolitische Verbindung zu informieren.

Allerdings gilt das nicht für alle Experten. Wird beispielsweise der Zeitgeschichtler Professor Andreas Rödder befragt, fehlt nie der Hinweis, dass es sich um ein CDU-Mitglied handelt. Das ist auch journalistisch völlig korrekt.

Das gleiche gilt für die stets vorgenommene Einordnung des Instituts der deutschen Wirtschaft als "arbeitgebernah". Dagegen fehlt beim DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) eine vergleichbare Klassifizierung. Dabei ist DIW-Chef Professor Marcel Fratzscher der SPD eng verbunden und hat einige Zeit SPD-Chef Sigmar Gabriel beraten.

Eine stattliche Riege von SPD-Professoren

Apropos Professoren: Die renommierten Politikwissenschaftler Frank Decker (Bonn), Wolfgang Merkel (Berlin) und Wolfgang Schröder (Kassel) sind bei ARD, ZDF und Phoenix besonders gefragte Gesprächspartner.

Alle drei sind Mitglieder der SPD-Grundwertekommission und damit den Sozialdemokraten weitaus enger verbunden als nur durch eine zu vermutende entsprechende Stimmabgabe.

Schröder ist sogar stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission. Zudem war von 2009 bis 2014 Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium der rot-roten Regierung Brandenburgs.

Wenn er und seine Kollegen im Fernsehen auftauchen, wird ihre SPD-Nähe von den Moderatoren fast immer verschwiegen. Dass Schröder die Notwendigkeit einer Brandmauer zur AfD anders beurteilt als eine solche gegenüber der Linken, versteht sich von selbst.

Experten unter falscher Flagge

Diese Experten segeln unter der falschen Flagge der scheinbaren Überparteilichkeit. Das gilt ebenfalls für den Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge (Köln) oder den Sozialmediziner Professor Gerhard Trabert (Mainz).

Beiden ist gemein, dass sie von der Linkspartei als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurden, 2017 beziehungsweise 2022. Doch der Fernsehzuschauer erfährt davon nichts, wenn sie zu Wort kommen.

Der parteilose Trabert wurde inzwischen vom Vorstand der Linken als einer der Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni 2024 vorgeschlagen. In der vom Hessischen Rundfunk für "Tagesschau 24" produzierten Sendung "Klimazeit" wird er dennoch schlicht als "Sozialmediziner" präsentiert, ohne auf seine enge Verbindung mit der Linken einzugehen.

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Linke als gern gesehene Interviewpartner

Eine Freifahrkarte als politisch vermeintlich Unabhängiger genoss lange Zeit auch der Sozialfunktionär Ulrich Schneider. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist als scharfer Kritiker der Sozialpolitik und als Anwalt deutlich höherer Steuern häufig in Talkshows zu sehen und zu hören.

Dass Schneider von 2015 bis 2022 Mitglied der Linken war, blieb unerwähnt. Sein Parteiaustritt hatte mit der Sozialpolitik nichts zu tun. Es war Schneiders Reaktion auf die pro-russischen Äußerungen seiner Genossin Sahra Wagenknecht.

Wer die Meinung der Redaktion bestätigt, ist willkommen

Für Siebenhaar liegt auf der Hand, dass ARD und ZDF häufig Experten auswählen, "welche die eigene These des Beitrags bestätigen. Das grenzt Experten mit konträrer Meinung aus und erfüllt nicht den selbst gestellten Anspruch einer ausgewogenen Berichterstattung."

Zudem falle auf, dass zu vielen Themen immer wieder die gleichen Experten vor die Kamera oder das Mikrofon geholt würden. Das könne, so Siebenhaar, aus politischen Gründen oder aus Bequemlichkeit passieren. Diese Einseitigkeit schrecke viele Zuschauer zunehmend ab.

Gesprächspartner, deren parteipolitische Orientierung verschwiegen wird, sind im ÖRR eher die Regel als die Ausnahme. Wobei man korrekterweise sagen muss, dass der beste Schutz vor einer solchen Enthüllung das "richtige" Parteibuch ist, also eines von SPD, Grünen oder der Linken.

Dann ist man immer wieder gefragt, wenn es um die Beurteilung von CDU/CSU, die Wirtschaft oder sonstiger Ungerechtigkeiten geht.

Grünen-Funktionär als Tagesthemen-Kommentator

Für die Sender höchst blamabel ist allerdings, wenn Redakteure des ÖRR einer Partei angehören und dann ungeniert ihre Herzensthemen kommentieren.

Der WDR-Wirtschaftsjournalist Detlef Flintz äußerte sich in den Tagesthemen besonders gerne zu klimapolitischen Notwendigkeiten und Versäumnissen. Das endete, als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass er zugleich im Grünen-Vorstand des Stadtverbandes Grevenbroich aktiv war.

Dass da "der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen könnte", wurde selbst dem WDR klar. Fortan durfte der WDR-Grüne nicht mehr Klima- und Umweltthemen kommentieren. Dafür lobt der Sender sich selbst überschwänglich: "Dabei ist unser wichtigster Maßstab unsere Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit."

Klima, Genderpolitik, Umverteilung als Top-Themen

Die politische Tendenz von ARD und ZDF ist eindeutig: Klima, Genderpolitik, Umverteilung und "Kampf gegen rechts" sind die dominierenden Themen.

Auch deshalb kommt die einseitige Auswahl von Gesprächspartnern nicht zufällig zustande. Der Medienexperte Siebenhaar sieht jedoch die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen kontinuierlich sinken. Der Grund: die Überalterung der Zuschauer.

Laut Siebenharr liegt das Durchschnittsalter bei ARD, ZDF und Dritten bei 60 Jahren und mehr - Tendenz steigend. "Das heißt, Nachrichten, Politikmagazine und Talkshows erreichen nur noch einen Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Den Intendanten ist die Problematik sehr bewusst. Doch einen öffentlichen Diskurs darüber scheuen sie mit wenigen Ausnahmen."

Geldgier und Überheblichkeit

Unseriöse journalistische Methoden prägen keineswegs die tägliche Arbeit der meisten Redakteure in den ÖRR-Anstalten. Doch werden ständig neue Vorkommnisse bekannt, die die Sender in das schlechte Licht einer politischen Schlagseite rücken.

Geldgierige Intendantinnen wie die Ex-RBB-Chefin Patricia Schlesinger, üppige Versorgungsleistungen für die "Hierarchen" in den Funkhäusern, ein überheblicher ARD-Vorsitzender Kai Gniffke, der sich zu Recht gehaltsmäßig auf einer Stufe wie der Bundeskanzler sieht - dies alles fördert das Unbehagen am ÖRR als einem von den Bürgern zwangsweise finanzierten Paralleluniversum.

Wahrscheinlich nehmen die Intendanten und Chefredakteure Kritik an Pannen wie der mit der "Kundin" aus dem Hause WDR nicht sonderlich ernst; die Gebühren-Milliarden fließen ja so oder so.

Zu denken muss den ÖRR-Bossen aber geben, dass in den für den Rundfunk zuständigen Landesregierungen der Unmut über das Rundfunksystem - das teuerste auf der Welt - wächst.

Sieben Länder gegen höhere Gebühren

Von den 16 Ländern haben bisher sieben angekündigt, einer weiteren Anhebung der Rundfunkgebühr nicht zuzustimmen. Das ist deshalb von Bedeutung, weil die Rundfunkgebühr bisher nur bei Zustimmung aller Länder erhöht werden konnte.

Bei der Ablehnung einer Gebührenerhöhung spielt die Farbe der Koalitionen offenbar keine Rolle. Denn in diesen sieben Länderregierungen sind alle Parteien vertreten: Bayern (CSU/Freie Wähler), Brandenburg (SPD/Linke), Mecklenburg-Vorpommern (SPD/Linke), Niedersachsen (SPD/Grüne), Nordrhein-Westfalen (CDU/Grüne) und Sachsen-Anhalt (CDU/SPD/FDP). Eine solche Konstellation hat es noch nie gegeben. Wenn das den Intendanten und Chefredakteuren nicht zu denken gibt, was denn dann?

Ein persönliches Post Scriptum: Bei einer Talkrunde in einem öffentlich-rechtlichen Sender setzten sich die Teilnehmer so zusammen: eine SPD-Bundestagsabgeordnete, eine Professorin und ein Meinungsforscher, beide SPD-Mitglieder, und zum Zwecke öffentlich-rechtlicher "Ausgewogenheit" ich als parteiloser Journalist.

Auf dem Weg ins Studio raunte die Professorin der in der SPD bestens vernetzten Moderatorin zu: "Du sagst doch etwa nicht, dass ich SPD-Mitglied bin?" Deren Antwort: "Selbstverständlich nicht." Selbstverständlich hielt die Moderatorin Wort.


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